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Montag, 8. August 2011

Crawling to Mumbai


Dario verschwindet in einer Menschentraube an der Straße gegenüber. Erst nach Minuten sehe ich ihn wieder. Leider kann uns das Auto nicht mitnehmen. Dafür schienen die Leute alle Spaß zu haben. Es ist schon spät. Wieder war die indische Wegbeschreibung
"Highway … Yes. Yes … 100 Meters this way" eine schlichte Lüge. Oder wie Asiaten sagen: Eine Antwort aus Höflichkeit.
Wir stehen auf einer Baustelle und versuchen gleichzeitig an zwei Stellen die Autos abzufangen. Erst nach einer knappen Stunde halten zwei junge Inder. Sie sprechen gut Englisch und sind von unseren Erzählungen begeistert. Deshalb versuchen sie andere Autos nach Mumbai für uns zu besorgen. Leider haben wir kein Glück. Wir akzeptieren etwas grenzwertiges: Die beiden bezahlen uns einen Minibus für weitere 100 Kilometer Richtung Bombay. Auf unsere Frage warum wir nicht losfahren, lächelt der Fahrer:
"Wait two people to come!"
Tatsächlich fahren wir erst los, als sechs weitere Leute hinzugestiegen sind. Doch damit nicht genug. Der gewinnorientierte Fahrer entdeckt ein weiteres potenzielles Opfer oder besser Passagier. Was jetzt kommt kann nur in Indien funktionieren. Der Fahrer weist den Mann neben mir an auszusteigen und sich auf den Fahrersitz zu setzen. Murti setzt sich beherzt auf ihn drauf und spreizt die Beine um das Lenkrad bewegen zu können. Der Neue quetscht sich zu uns auf die Rückbank. Keiner meckert. Indien!



Es ist schon dunkel als wir auf der Autobahn ausgesetzt werden. Der Bus biegt hier ab zu einem Dorf. Mist - es fängt an zu schütten. Schnell denken wir:
"Das hier ist die bisher beschissenste Situation bisher. Schlimmer als Yusef!"
Doch wir haben Glück. 50 mm Regensäule später sitzen wir in einem indischen Truck nach Mumbai. Aber das "Mumbai. Yes. Yes" entpuppt sich als "Chai. Abendessen. Morgen Mumbai." - unmöglich für uns. Wir werden etwas nervös. Indien ist nicht Türkei und nicht Iran, wo Autos auch nachts noch anhalten. Alle rasen an uns vorbei. Schließlich können wir die LKW-Fahrer überreden uns zur nächsten größeren Stadt zu bringen. Dort werden wir von einem öffentlichen Bus aufgenommen. Es sind noch 25 Kilometer bis Mumbai. Man könnte meinen: "25 Kilometer. Das dauert etwa 30 Minuten. Wir sind in Indien, also doch 45 Minuten."
Falsch! Wir sind in Indien-Indien oder besser in Mumbai. Hier wurde Stau zum Volkssport erhoben!
Es dauert 2 Stunden. Wir erleben den kompletten Kulturschock, als wir die Halle des Grand Hyatt Mumbai betreten. Ich habe keinen Plan, in welchem Abgrund des Internets Mama in diesem Luxusschuppen ein bezahlbares Zimmer gefunden hat: 16 Grad angenehm temperierte weitläufige Marmorhallen. Schwimmbad. Vier Edel-Retaurants. Alle 5 Meter grüßen uns die aufgebrezelten Hotelangestellten - trotz unserer abgewetzten Deichmann-Sandaletten und staub- und schweißverschmierten C&A-Klamotten. An der Rezeption fragt Dario: "Our parents stay here but we don't know in which room." "No problem Sir. Just take the phone over there and ask the operator to connect you to your parents."
Zwei Minuten später rennen wir durch einen langen Korridor auf Mama und Papa zu. Wir freuen uns auf fünf Tage Erholung in Bombay.

Sonntag, 7. August 2011

Sachkhand Express - Teil 1

Am Bahnhof angekommen sind wir erstmal überfordert: Die Zugpläne sind auf Hindi, elektronische Anzeigen fehlen völlig. Es gibt zwei große Hallen in denen Fahrkarten verkauft werden. Wir entscheiden uns für die "Reservation Hall". Ein freundlich guckender Beamter erklärt uns, dass morgens um 8 ein Zug nach Mumbai fahren würde und mit einem Lächeln fügt er hinzu, dass die Reservation Hall jetzt geschlossen hätte.

Verärgert setzen wir uns erstmal in das Bahnhofsrestaurant und überlegen. Nach einem deftigen Mahl fragen wir uns zu einem Station Officer durch, der uns noch eine andere Möglichkeit offenbart: Heute Abend um 8 wird ein Zug nach Manmad fahren, einem Bahnkreuz 300 km vor Mumbai.
Wir sind sofort begeistert, eine Nacht auf dem Bahnhof wäre zu hart, den CouchSurfer zu kontaktieren zu umständlich. Daher lösen wir für umgerechnet 6 Euro zwei Tickets nach Manmad und besteigen eine halbe Stunde später einen Zweite-Klasse-Waggon des Sachkhand-Express.

14 Stunden Zugfahrt hören sich nach viel Ruhe, Zeit für Meditation und einer entspannten Nacht an, doch eine indische Zugfahrt hat absolut gar nichts mit diesen Vorstellungen gemein. In einem Abteil das für 8 Personen ausgelegt ist, sitzen 12 Inder auf den Bänken, weitere 4 haben einen der beliebten Schlafplätze auf den Gepäckablagen unter der Decke ergattert. Anstatt einer Klimaanlage, wirbeln 6 stählerne Ventilatoren die stickige Luft umher. Wir verwünschen uns selbst für die abwegige Idee, die paar Euro für die Erste Klasse eingespart zu haben.

Doch so schlimm dieses Szenario auf den ersten Blick auch wirkt, so ist eine Zugfahrt in Indien trotzdem etwas Faszinierendes. Durch die Nähe im Abteil lernen wir jede Menge nette Leute kennen, tauschen Erfahrungen aus und genießen gemeinsam die durch Fenster verkauften kleinen Häppchen.
Zu Beginn sind wir "die Neuen": Keinerlei Anspruch auf einen eigenen Sitzplatz, Craig teilt sich mit einem Studenten ein schmales Brett. Ich stehe an der Tür. Da hilft auch kein Touristenbonus!




Nach und nach werden wir mutiger. Wir können beide endlich sitzen und an einer großen Station nutzen wir die kurzzeitige Leere und klettern geschwind auf eine der bequemen Gepäckablagen. Ja, richtig gelesen: Bequem! Die breiten Bretter sind lang genug um sich auszustrecken und hoch genug um wenigstens einen kleinen Teil des Geräuschpegels abzuschirmen.

Craig ist als erster dran und schläft binnen Sekunden. Währenddessen habe ich mit einer indischen Familie Freundschaft geschlossen, die beinahe das gesamte Abteil okkupiert. Der Vater kann ein wenig Englisch, doch alle anderen zeigen immer wieder auf einen etwa 12-jährigem Jungen. Dieser schämt sich jedoch für die ungewollte Aufmerksamkeit und erst nachdem ich mit einen freundlichen "Meru nam Dario ho" das Schweigen breche, plappert er munter auf Englisch los.

Er und sein jüngere Bruder lernen an einer Privatschule Englisch und fahren nun Verwandte im Süden besuchen. Besonders interessiert sind alle an dem Vergleich Indien-Deutschland. Immer wieder wird gefragt:
"Goats in Germany - Yes?" Ich bejahe und verneine die vielen Tierarten wahrheitsgemäß und werde plötzlich dazu aufgefordert eine Ziege nachzuahmen.
Nachdem ich aus meiner Kehle den schönsten Ziegenlaut heraushole, brechen alle Dämme. Das gesamte Abteil schreit vor Lachen, auf Hindi wird laut durcheinander gebrüllt, jeder will Teil des imaginären Bauernhofes sein. Das Chaos gipfelt in dem Vergleich meiner deutschen und des Jungen indischen Version der muhenden Kuh. Nachdem sich die Masse wieder beruhigt hat, wird weiter über amerikanische Filme, Bollywoodstreifen und die nächste Station diskutiert.
Ich habe das Vertrauen der Inder gewonnen, es werden Kekse und Tee herumgereicht und auch der begrenzte Sitzplatz wird bereitwillig geteilt.



Es wird langsam dunkel und eine gewisse Melancholie breitet sich aus. Kurz vor Mitternacht gönne ich mir ein paar Samosas als letzten Snack, dann ist endlich Schichtwechsel und ich darf mich oben zwischen die beiden Rucksäcke zusammenrollen und schlafen. Craig muss die Rasselbande ab jetzt unterhalten.
Die Nacht für mich ist kurz, gegen 2 Uhr morgens weckt mich Craig und ich muss mich nach unten zu den anderen quetschen. Die Familie ist schon weg, stattdessen sitzen mehrere junge Männer da.
Auf dem Weg zur Toilette stolpere ich über dutzende Körper, die überall auf dem Boden liegen. Wer kein "Bett" bekommen konnte, muss eben ausweichen.